Christian Sterzing, Edenkoben

 

Christian Sterzing, Rechtsanwalt/Pädagoge/Autor. Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah 2004 - 2009; MdB 1994 - 2002; im Vorstand des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten 1977 – 2010; Veröffentlichungen zum Nahen Osten, zuletzt „Kleine Geschichte des Nahostkonflikts“.

Nach dem Scheitern der israelisch-palästinensischen Friedensgespräche im April und dem Gaza-Krieg im Sommer 2014 scheint eine friedliche Regelung des nahöstlichen Konflikts ferner denn je. Es sind keine politischen Kräfte in Sicht, die in der Lage wären, eine neue friedenspolitische Dynamik mit realistischer Perspektive in Gang zu setzen. Radikale Kräfte stoßen in das politische Vakuum. Die „westlichen“ Staaten verlieren an Einfluss in der Region, neue politische Akteure treten auf den Plan, und neue Interessenkonstellationen entstehen. Die neue Unübersichtlichkeit hat die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts weitgehend von der weltpolitischen Tagesordnung verdrängt. Konfliktmanagement statt Konfliktlösung ist angesagt. Die regionale Instabilität scheint die Beteiligten zu lähmen.

Gibt es in Israel und Palästina noch Kräfte, die sich gewaltlos für eine friedliche Konfliktregelung einsetzen, sich an den Prinzipien von Völkerrecht und Menschenrechten orientieren, die zum Dialog und Kompromiss mit dem „Feind“ bereit sind?

 

Naher Osten - Ferner Frieden

Interessen und Friedensperspektiven

 

Zusammenfassung von Norbert Bogerts, Matinee-Teilnehmer

 Statt eines Geschichtsvortrages oder einer Konfliktanalyse macht Herr Sterzing eine Dia-gestützte Reise durch das Land. Fotos des Flughafens Ben Gurion, von Tel Aviv-Yafo (arabisch Jaffa), Jerusalem mit dem Theodor-Herzl-Denkmal, Checkpoint Kalandia, Ramallah zeigten Brennpunkte des Nah-Ost-Konflikts. Viele Karten zeigten Details von Grenzlinien und besetzten Gebieten.

So z.B. auch die Mauer-Sperranlage, die sich nicht an die Grenzen von 1967 hält, sondern völkerrechtswidrigerweise (Internationaler Gerichtshof 2004) stellenweise weit ins Westjordanland hineinreichen, um Siedlergebiete zu schützen.

Auf einer Karte, die auch bei WIKIPEDIA veröffentlicht ist (http://de.wikipedia.org/wiki/Westjordanland) erkennt man die sogenannten A- (17%), B- (23%) und C-Gebiete (60%) nach dem Oslo-II-Interimsabkommen über die palästinensischen Autonomiegebiete. In A-Gebieten liegt die Infrastruktur, z.B. Müllabfuhr, Schulen, Verkehr und Sicherheit in palästinensischer Verantwortung, in B-Gebieten liegt die Verantwortung für die Sicherheit in gemeinsamer Verantwortung, in C-Gebieten trägt allein Israel die Verantwortung für die Sicherheit. Hier liegen nämlich die völkerrechtswidrig angelegten Siedlungen; die A-und B-Gebiete bilden einen Flickenteppich in der Westbank. Hinzu kommen noch militärische Sperr- und Naturschutzgebiete, die für Palästinenser nicht zugänglich sind bzw. sie nur mit Sondergenehmigung betreten können. 20% der jüdischen Siedlungen mit 80% der Siedler liegen im Westen und sind von der Mauer geschützt. Falls es einmal zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommen sollte, sieht Israel die Mauer als mögliche Grenze; 80% der – meist verstreut liegenden Siedlungen mit 20% der Siedler würden dann aufgegeben. Die "grüne Grenze" (von 1967) hat eine Länge von ca. 320 km, die "Mauergrenze" ist 740 km lang.

Die jüdischen Siedlungen (meist Schlafstätten) sind durch ein Straßensystem miteinander und mit dem Kernland Israel verbunden, das Palästinenser nur mit besonderer Genehmigung nutzen können, Checkpoints, Straßenblockaden und ein 100 bis 500 m breiter Sicherheitsstreifen dienen der Sicherheit, Tunnels und Brücken sorgen für einen kreuzungsfreien Verkehr mit palästinensischen Straßen.

Es gibt ca. 200 jüdische Siedlungen in der Westbank, dazu ca. 145 illegale Außenposten (sind auch nach israelischem Recht nicht genehmigt, also illegal), sie haben eine sehr gute Infrastruktur. Hier leben ca. 550.000 Siedler; hinzu kommen noch 30 jüdische Siedlungen in Ost-Jerusalem. Die Wachstumsrate der Bevölkerung in den Siedlungen beträgt sehr hohe 5,6%.

Tore in der Mauer werden z. T. stundenweise geöffnet, z.B. um palästinensischen Kindern den Zugang zu einer (abgetrennten) palästinensischen Schule zu ermöglichen; z. T. gibt es saisonale Öffnungen, z. B. zur Olivenernte.

Geschichte

(s. Karten unter WIKIPEDIA (http://de.wikipedia.org/wiki/Israel#Entwicklung_bis_zum_20._Jahrhundert)

Am Ende des 1. Weltkrieges nahmen Briten das Gebiet ein (Ende des Osmanischen Reiches), Libanon und Syrien wurden französisches Mandatsgebiet, Jordanien und Ägypten britisches. Die jüdischen Siedlungsgebiete bildeten die Grundlage für den UN-Teilungsplan von 1947. Es herrschten schon bürgerkriegsähnliche Zustände, so gaben die Briten das Problemland an die UN zurück.

650.000 Juden besiedelten 5,6 % des Gebietes und bekamen 56 % als Staatsgebiet; die 1,5 Mio. Palästinenser erhielten 42%, der Rest betrifft Jerusalem. Aus dem Bürgerkrieg wurde ein richtiger Krieg, der 1948 zur Gründung Israels mit zusätzlichem Landgewinn führte und heute als Israel in den Grenzen von 1967 bezeichnet wird.

1950 annektierte Jordanien die Westbank; der Gazastreifen kam unter ägyptische Militärverwaltung; beides blieb bis 1967 so.

Die ausgelöste Flüchtlingswelle betrug nach unterschiedlichen Schätzungen 600.000 bis 900.000 Palästinenser; heute sind es 5 Millionen, da die Nachkommen als solche gezählt werden und Anspruch auf eine UNRWA-Unterstützung (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten) haben, auch wenn sie z. B. in Jordanien leben.

Jerusalem war bis 1967 durch eine Mauer in Ost (jordanisch) und West geteilt. 1967 eroberte Israel Ostjerusalem; die Annexion wird aber international nicht anerkannt. Juden siedeln in- und außerhalb der Stadtgrenze; der Mauerverlauf bildet ein absurdes Zickzack. Durch den Mauerbau sind einige Palästinenser von Jerusalem ausquartiert; einige Westbanker sind aber plötzlich eingemeindet.

Zentrale Fragen einer Friedensregelung:

  • Zwei Völker erheben Anspruch auf das gleiche Land
  • Siedlungen
  • Flüchtlinge (5 Mio.!)
  • Jerusalem (drei Religionen: Juden, Christen, Muslime)
  • Grenze
  • Sicherheit
  • Menschen- und Völkerrecht

Es handelt sich um einen nationalen, nicht religiösen Konflikt, der allerdings immer mehr religiös aufgeladen wird.

Lösungen:

Zwei-Staaten-Regelung. Sie verlangt Sicherheit und Frieden für Israel, was nur durch gleiches Recht für einen palästinensischen Staat gewährleistet wird.

Merkel macht einen Fehler, wenn sie nur von israelischer Sicherheit spricht und sie zur deutschen Staatsräson erklärt; ebenso Gauck, wenn er sagt, dass die israelische Sicherheit die deutsche Politik bestimmt. Beide haben ein Defizit, denn das Wort "Frieden" fehlt bei ihnen, die Palästinenser werden vergessen. Sicherheit ist aber nur durch Frieden möglich!

Beide Seiten haben kollektive Traumata: Holocaust und Nakba (zu deutsch "Katastrophe" oder "Unglück", bezeichnet im arabischen Sprachgebrauch die Flucht und Vertreibung von etwa 700.000 arabischen Palästinensern aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina). Unabhängig von der historischen Unvergleichbarkeit von Holocaust und Nakba stellt die Nakba im palästinensischen Bewusstsein das dar, was für die Israelis der Holocaust bedeutet: Ein historisches Ereignis und eine kollektive Erfahrung, die noch heute wesentlich die Wahrnehmung der Gegenwart und das politische Handeln prägen.

Israel will vor einer Zwei-Staaten-Regelung erst das Sicherheitsproblem lösen, da für es eine Friedensregelung größere Risiken birgt als der Status quo. Dies führt allerdings zu einem zunehmenden Rechtsruck.

Beide Seiten trauen der anderen nicht, obwohl es in beiden Bevölkerungen eine Mehrheit für eine Zwei-Staaten-Regelung gibt. Hinzu kommen innenpolitische Konflikte zwischen Rechten und Linken in Israel, zwischen Hamas und Fatah bei den Palästinensern, auch wenn es jetzt wieder eine Einheitsregierung gibt.

Probleme:         

  • Konfliktmanagement statt Konfliktregelung
  • Regionales Stabilitätsbedürfnis
  • Postkoloniale Neuordnung (Arabischer Frühling, Syrien, IS etc.)
  • Innenpolitische Differenzen
  • Druck auf Israel

Es gibt Friedenskräfte auf beiden Seiten, die allerdings marginalisiert werden. Außerdem handelt es sich um einen asymmetrischen Dialog.

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