08.12.2019

Prof. Dr. Werner Thiede

5G als digitale Fortschrittsfalle

Warum der Digitalgesellschaft freiheitliche und gesundheitliche Rückschritte drohen.

Ein Bericht von Norbert Bogerts

Bei der Vorstellung von Prof. Thiede betonte Prof. Blasweiler, dass auch physikalisch zu erklärende Gefahren mit der 5G-Technologie auf uns zukommen: Es drohten freiheitliche und gesundheitliche Rückschritte. Die höheren Frequenzen der 5G-Strahlung hätten eine geringere Reichweite und eine geringere Materialdurchdringung, weshalb Millionen neuer Sendemasten installiert werden müssten.

Der vom Bundesamt für Strahlenschutz festgelegte Grenzwert sei von einer industrienahen Kommission festgelegt worden und berücksichtige nur die thermische Wirkung der Strahlung. Es sei leicht, diese Grenzwerte einzuhalten. Zahlreiche Wissenschaftler hätten allerdings in Anträgen an die EU herausgearbeitet, dass die Strahlung neben der thermischen auch eine athermische (=biologische) Wirkung hätten. Es käme zu Zellirritationen, die Krankheiten auch psychischer Art und bis zum Krebs haben könnten. Auch ein im Trierischen Volksfreund veröffentlichter Artikel der Präsidentin des Bundesstrahlenschutzes verharmlose die Gefahren; so würden Industrie, aber nicht die Menschen geschützt, was ein Verstoß gegen die Vorsorgepflicht des Staates sei.

Prof. Dr. Werner Thiede ist protestantischer Theologe, Pfarrer i.R. und Publizist (www.werner-thiede.de). Er hat viele Bücher und Schriften veröffentlicht und lehrte an den Universitäten Regensburg, Bayreuth und Erlangen-Nürnberg; an der letztgenannten habilitierte er sich zum Thema „Der kosmische Christus“.

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In seinem Vortrag analysierte Prof. Thiede die Problematik weniger aus naturwissenschaftlicher als aus ethischer Perspektive. Er stellte sieben Thesen vor.

„Jeder Fortschritt hat uns aus Gewohnheiten, die wir kaum angenommen haben, wieder vertrieben.“ (Saint-Exupéry).

Auch wir seien heute solche Vertriebene. Wir laufen unbemerkt Gefahr, der Digitalisierung zu dienen, statt von ihr bedient zu werden, also ihre Knechte zu werden. Schon der Soziologe Ulrich Beck hat betont, je mehr es weltweite Datenkontrolle gebe, umso weniger sei diese sichtbar. Aber die Bundesregierung ist trotz wissenschaftlicher Warnungen fortschrittstrunken; die Gesellschaft wird nicht gefragt.

These 1: Fortschritt muss sein.
Auch wenn der Fortschritt womöglich kein gutes Ende nehmen wird, Fortschritt muss immer sein, sonst gibt es Stillstand. Wirtschaftsminister Altmaier argumentiert, ohne Fortschritt käme es zu Verlust an Wertschöpfung in Deutschland. Das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur schreibt: „Die Digitalisierung schreitet so rasch voran, dass Wirtschaft und Gesellschaft schon bald vollständig von Informations- und Kommunikationstechnologien durchdrungen sein werden.“ (Berlin 2017) Der Fortschritt ist allerdings ambivalent: Die technologische Entwicklung droht zur größten Gefahr für die Menschheit zu werden – mit Überwachung von allen, immer und überall (Y. N. Harari). Die Ambivalenz des technologischen Fortschritts ist nicht neu, aber sie wird gerne verdrängt. Die Geschichte des Fortschritts, sei es auf ökologischer, militärischer oder gesundheitlicher Ebene, hatte immer Licht und Schatten. Auch Kanzlerin Merkel räumt ein, bei der Digitalisierung lägen Risiken und Chancen dicht beieinander.

These 2: Weil mit dem Fortschritt auch seine Schattenseiten rasant wachsen, droht er in einer Katastrophe zu enden – eine Fortschrittsfalle baut sich auf.

Fehler des Fortschritts können auch durch Fortschritt behoben werden, aber nicht immer. Hier sei verwiesen auf das Artensterben im Nachgang der industriellen Revolution. Eine falsche Fortschrittsrichtung kann eine fatale Entwicklung nehmen, so dass Gegenmaßnahmen nicht mehr funktionieren. Sowohl die positiven wie die negativen Seiten des Fortschrittes steigen rasant; die negativen drohen übermächtig zu werden. Heute akzeptieren wir z.B. die technologische Überwachung, was vor wenigen Jahrzehnten noch undenkbar war. Das Innovationstempo der Künstlichen Intelligenz nimmt zu. Das Wirtschaftsministerium argumentiert, Deutschland müsse den Wettbewerbsrückstand aufholen. Künstliche Intelligenz sei jedoch nichts anderes als Vortäuschung von Intelligenz (Eduard Kaeser); der Mensch wird entmenschlicht, auf ein Datenpaket reduziert. Tesla-Chef Elon Musk bezeichnet die militärischen Risiken der Digitalisierung als gefährlicher als die Atombombe. Im militärischen Bereich gehen wir in eine immer bedrohlichere Fortschrittsfalle, wenn der Mensch durch Künstliche Intelligenz ersetzt wird.

Auch die Entwicklung auf dem Mobilfunksektor ist von marktwirtschaftlicher Konkurrenz getrieben; ungeachtet elektrosensibler Minderheiten sollen alle Funklöcher verschwinden. Warnungen müssen verdrängt werden. Rund 750.000 Sendestationen sollen errichtet werden. Ist solche Strahlenbelastung ein Fortschritt? Die Regierung preist die Vorteile, bezeichnet die Risiken als minimal, obwohl im 8. Mobilfunkbericht der Bundesregierung (2018) immerhin klar steht: „Die Digitalisierung der Gesellschaft schreitet rasant fort. Dies wird zu einer starken Zunahme der drahtlosen Kommunikation insgesamt, mit vermehrtem Einsatz elektromagnetischer Felder und damit auch zu einer insgesamt höheren Belastung der Bevölkerung führen.“

These 3: Die Richtung des Fortschritts muss auf seine Technikfolgen sorgfältig überprüft werden.

Wie steht es mit der ethischen Verantwortbarkeit der Digitalisierung?

Laut EU-Richtlinien sind Vorsorge und Vorbeugung politisch festgelegt. In den EU-Verträgen ist das Vorsorge-Gebot verankert und Vorbeugung politisch festgelegt (EU-Vertrag Art. 191) Dieses Recht wird gebrochen. Auf Überprüfungsergebnisse wird nicht gewartet, obwohl es grundsätzliche Fragen gibt: Wo findet man eine neutrale Technikfolgenabschätzung? Die Neutralität der Technikfolgenabschätzung ist als Mythos entzaubert. Subjektive Werte rücken ins Zentrum. Bei der 5G-Technologie sind die Werte noch nicht eruiert. Der Mensch soll sich den Technologien anpassen statt umgekehrt. „Das Ethische ist in die Technik hinein verschwunden. Die Ethik ist nicht mehr da“ (Günter Rohrmoser, Philosoph). Entscheidend für Wissenschaft und Technik sind die Geldgeber, was sie der politischen Selbstkontrolle entzieht. Carl Friedrich von Weizsäcker, Physiker und Philosoph: „Wissenschaft ist Macht. Macht ist Bereitstellung von Mitteln für unsere Zwecke. Aber eben dies ist zweischneidig. Die Macht der heutigen Wissenschaft bedroht, zunächst unwissentlich, unser Leben.“

These 4: Um der drohenden Fortschrittsfalle entgegenzuwirken muss um notwendiger Besinnung willen das Tempo des Fortschreitens gedrosselt werden – auch in Gestalt eines Moratoriums beim 5G-Ausbau.

Eine Technikfolgenabschätzung braucht Zeit. Was aber, wenn keine Zeit mehr zur Verfügung steht? Die Hast unserer Zeit verhindert Zeit. Über 180.000 Unterzeichner fordern einen Stopp der 5G-Technologie auf der Erde und im Weltraum. Viele Wissenschaftler und Ärzte protestieren, darunter auch die IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges). Aber alle Appelle bleiben ungehört.

Aufklärung ist notwendig! Will die Bevölkerung überhaupt 5G? Zur Aufklärung ist sachliche Information erforderlich. Zeit ist da für Propaganda. Die Bundesregierung plant ein entsprechendes Programm. Sie hat bei der Lizenzversteigerung Milliarden eingenommen, folglich hat sie kein Interesse an „neutraler“ Information.

Das Digitale wird zu einer Ersatzreligion. Ein US-Robotik-Experte hat die Church „Way oft he Future“ gegründet, die eine künstliche Intelligenz als Gottheit verehrt. Mark Zuckerberg sagt: „Gemeinschaften schenken uns Sinn – egal, ob es Kirchengemeinden sind, Sportklubs oder Nachbarschaftsgruppen“, Facebook sei „die neue Kirche“.

Byung Chul Han, deutscher Philosoph, Autor und Professor an der Universität der Künste in Berlin, betont: „Das Additive, das den kommunikativen Lärm erzeugt, ist nicht die Gangart des Geistes.“

These 5: Der Fortschrittsgedanke der digitalen Revolution weist in utopische Richtung und trägt totalitaristische Züge.

Utopie heißt wörtlich Nicht-Ort, das Nirgendwo. Utopisch ist der Ruf nach dem „neuen Menschen“, er führte immer zum Gegenteil des Angestrebten. Bei der digitalen Revolution werden bisherige Rechte, Menschenrechte relativiert. Es ist zu fragen: Digitalisierung – zu welchem Preis? Transhumanisten wollen mit Hilfe von Computertechnik, künstlicher Intelligenz und Biomedizin den perfekten, unsterblichen Menschen schaffen. Aber: Alles ist vergänglich, die Erde, die Planeten, das Universum.

Wir müssen uns fragen: Wie erstrebenswert ist das Smart Home, das selbstfahrende Automobil? David Precht: „Ich will doch nicht zurück in den Kinderwagen!“ Welche Verluste der individuellen Freiheit gehen mit der Digitalisierung einher? Nach der Unverletzlichkeit der Privatheit wird bei 5G kaum mehr gefragt. Hieraus ergeben sich totalitaristische Tendenzen der Kontrolle und Überwachung, wie z. Zt. schon in China, wo es Ansätze zum maschinenlesbaren Menschen gibt. Selbst in Südkorea gibt es schon digitale Profile hinsichtlich des Wohlverhaltens von Individuen. China ist auf weltweite Expansion ausgerichtet. Soll wirklich Huawei bei 5G beteiligt werden?

„Das Diesseits weigert sich hartnäckig zum Paradies zu werden.“ (Wilhelm Schmid)

These 6: Damit die ideologische Basis der digitalen Revolution im Kern hinterfragt wird, muss das Streben nach unendlichem Fortschritt kritisch beleuchtet werden.

Die digitale Revolution suggeriert eine immer höhere Entwicklung der Menschheit. Aber der Gedanke des unendlichen Fortschritts rechtfertigt ein Fortschrittsdiktat und führt in die Fortschrittsfalle. Unendlichkeit und Unsterblichkeit sind göttliche Eigenschaften. Digitalisierung strebt zunehmend nach Selbstvergöttlichung, wird zur Zivilreligion, zu einer Leitkultur, zum Turmbau von Babel. Sie führt zum Verlust echter Religiosität.

These 7: Angesichts der drohenden Fortschrittsfalle ist Widerstand gegen jede zwangsweise Digitalisierung ebenso angesagt wie verstärkte Aufklärung gegen Risiken.

Erst eine verführte Bevölkerung macht den Technikwahn möglich. Aufklärung, ehrliche Information ist politisch erforderlich, dabei ist jeder gefragt. „Ich will die Welt verändern und habe beschlossen, bei mir zu beginnen. Schließ du dich mir an, dann sind wir schon zwei.“ (Johannes vom Kreuz, Mystiker, Kirchenlehrer, 1542-1591).

Möglichkeiten des Widerstands

persönlicher Einsatz/Zivilcourage; sich politisch einmischen

Leserbriefe schreiben, Petitionen unterzeichnen

juristisch Widerstand leisten

eigene Lebenspraxis überprüfen, auch analoge Technologien benutzen

mehr Naturbegegnung statt Technologie.

Musikbegleitung unter Leitung von Bernhard Nink verleiht der Matinee
immer eine besondere Atmosphäre.
Hier Mitglieder des Jazzquartetts Campus II der Univerirät Trier.

Musikbegleitung unter Leitung von Bernhard Nink verleiht der Matinee
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Hier Mitglieder des Jazzquartetts Campus II der Univerirät Trier.

Bernhard Nink, Klavier
Marion Klein, Saxophon,
Charlotte Thomas, Saxophon

Literaturhinweise

W. Thiede: Digitalisierung als Weltanschauung, www.pad-verlag.de 2019

W. Thiede: Die digitale Fortschrittsfalle, pad-Verlag 2018 (2. Aufl. 2019)

W. Thiede: Digitaler Turmbau zu Babel. Der Technikwahn und seine Folgen, oekom 2015

W. Thiede: Mythos Mobilfunk. Kritik der strahlenden Vernunft, oekom 2012

S. Lederhilger (Hg.): Gott und die digitale Revolution, Pustet 2019

 

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