Matinee mit Anton Pieper, Südwind-Institut, Bonn
am 31. Januar 2016

Nachhaltiges Wachstum –
Aufbruch in anderen Schuhen 

Anton Pieper studierte Politikwissenschaft in Berlin, arbeitete u.a. für die internationale Menschenrechtsorganisation FIAN (Food First Informations- and Aktions-Network), die sich dafür einsetzt, dass alle Menschen frei von Hunger leben und sich selbst ernähren können. Er ist Mitarbeiter des Südwind–Instituts / Bonn und dort als Experte für Sozialstandards im Welthandel sowie für Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen tätig.

Die Annahme, ökonomisches Wachstum sei eine Grundvoraussetzung für eine Steigerung der Lebensqualität der Menschen, ist überholt. Der einseitige Fokus auf die Steigerung der Güterproduktion und der Preise hat nicht zur Lösung von Problemen beigetragen, sondern im Gegenteil oftmals zu ihrer Verschlimmerung geführt. Daher ist ein radikales Umdenken vonnöten, weg von einseitigem ökonomischem Wachstum, hin zu nachhaltigem Wachstum und menschenwürdiger Arbeit – zur Postwachstumsgesellschaft. 

Pieper wird dies exemplarisch anhand des Beispiels der Wertschöpfungskette von Schuhen darstellen. Dabei wird er insbesondere auf Beispiele aus der Schuh- und Lederindustrie in den wichtigsten Produktionsländern Asiens eingehen. 


Vorbemerkung:
Der folgend wiedergegebenen Text von Norbert Bogerts, einem Matinee-Teilnehmer, über den Vortrag von Anton Pieper wurde vom Referenten als zutreffend bezeichnet und kann hier wiedergegeben werden.
Das TQT dankt Herrn Bogerts, der schon öfter Matinee-Berichte geschrieben hat, für diese Arbeit.

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Als Einleitung referiert Pieper - unterlegt von einer Grafik des Rückgangs der Wachstumsraten - Kritik an der Wachstumspolitik und stellt die Postwachstumstheorie vor:

W a c h s t u m s g r e n z e n :

1. Ressourcenverknappung:
(Peak Oil, Seltene Erden, Phosphate etc.)

2. Psychische Wachstumsgrenzen:
In der ersten Dekade dieses Jahrhunderts können sich fast alle fast alles leisten. Gleichzeitig hat sich in diesen zehn Jahren der Konsum von Psychopharmaka und Antidepressiva verdoppelt. Dies belegt, dass Konsum nicht glücklich macht; viele leiden unter Zeitdruck.

3. Ökonomische Wachstumsgrenzen:
Unser auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem macht das Finanzsystem krisenanfällig und umgekehrt.

4. Ökologische Wachstumsgrenzen: 
Erkenntnisse des Club of Rome ("Grenzen des Wachstums", 1972) haben sich bestätigt.

DIE soziale Frage ist eine ökologische, wie der Klimawandel zeigt. Die globale Durchschnittsemission von CO2-Äquivalenten beträgt 2,7 to/Kopf; in Deutschland sind es 11 to. Nachhaltigkeit ist mit globaler Gerechtigkeit verknüpft. Wirtschaftswachstum wird mit dem BIP erfasst, in das auch Wohlfahrtsschädliches einfließt (Unfälle erhöhen das BIP), in ihm bleibt Vieles unberücksichtigt, z.B. das Verteilungsproblem, aber auch, was Lebensqualität ausmacht wie z.B. der Bildungsstand einer Gesellschaft. Die Schere zwischen Wirtschaftswachstum und Zufriedenheit klafft immer weiter auseinander. Ein global expandierendes Wirtschaftsmodell befindet sich auf Kollisionskurs mit der ökologischen Tragfähigkeit unseres Planeten und mit der sozialen Belastbarkeit unserer Gesellschaft.

Eine Postwachstumsökonomie basiert auf wirtschaftlicher Abrüstung und Suffizienz.



Im zweiten Teil

konzentriert sich Pieper beispielhaft auf die Schuhindustrie.

Beim Kauf von Kleidung hat der Kunde aufgrund höherer Transparenz über die Produktion mehr Informationen als beim Schuhkauf.

Weltweit werden zwei Drittel aller Schuhe in China produziert; in 2013 waren das 22 Milliarden Paar; in 2014 sogar 24,2 Milliarden Paar. Das sind etwa drei Paar Schuhe pro Kopf im Jahr. Im Deutschland kauft jeder im Jahr durchschnittlich mehr als fünf Paar; schließlich sind Schuhe ein Mode- und damit ein Wegwerfprodukt, da oft auch von niedriger Qualität.

Grafiken und Fotos unterlegen die folgenden Ausführungen:
- 88% aller Schuhe werden in Asien produziert
- Die höchste Wertschöpfung (Gewinn) ist in den Ländern, in denen am meisten konsumiert wird
- Der durchschnittliche Exportpreis beträgt in China: 3,45 €; in Deutschland 17,97 €.
- Mittlerweile ist ein großer Teil der Produktion nach Osteuropa verlagert, da dort aufgrund der niedrigen - - Löhne billiger als in China produziert werden kann.

Preisanalyse eines Turnschuhs für 120,- €
Lohnkosten bei Produktion: 2,50 €
Rohstoffe: 10,- €
sonstige Produktionskosten: 3,50 €
Gewinn innerhalb der Produktion: 4,-
Markenkonzern: 26,- €
Transport und Zölle: 4,- €
Distribution: 5,- €
Einzelhandel: 45,- €
Mehrwertsteuer: 20,- €.



Insgesamt sind vier zentrale Punkte zu berücksichtigen:

1. Löhne und Heimarbeit:
Der Mindestlohn wird meist gezahlt; er liegt allerdings i. d. R. unter dem Existenzminimum. Steigt der Mindestlohn, verlagert sich die Produktion, z.B. von China nach Osteuropa.
Ein Gutteil der Produktion erfolgt in Heimarbeit, z. B. Annähen der Sohle an das Oberteil. Das ist Akkordarbeit ohne feste Anstellung und ohne Sozialleistungen. In Indien und Indonesien sind diese Probleme besonders hoch.

2 Sicherheit am Arbeitsplatz und Umweltstandards.
Ein Monitoring erfasst die Produktion nur bis zur Fabrik, nicht die Zulieferer, wie z.B. die Gerber. Sie haben äußerst katastrophale Arbeitsbedingungen; trotz Schutzkleidung ist ihre Arbeit sehr schmutzig, ja giftig: Fotos zeigen einen indischen Gerber, der barfuß im Gift steht. (Die Gerbung erfolgt mit Chrom und giftigen Chemikalien. Nach 10 bis 15 Jahren ist der Produktionsstandort derart verseucht, dass die Produktion verlagert wird. Das verwendete Chrom 6 ist krebserregend und schädigt insbesondere bei Alterung der Schuhe auch den Menschen, der die Schuhe trägt.)

3 .Arbeitsrechtverletzungen in der Lederverarbeitung:
Fotos zeigen Kinderarbeit bei der Lederfärbung.

4. Ökologischer Fußabdruck pro Paar:
Ungeklärtes Abwasser: 25.024 l, geklärtes Wasser: 14.503 l; Landverbrauch: 50 m2.

Zum Schluss verweist Pieper auf die Kampagne "Change your shoes", die im Dialog mit Unternehmen und Politik steht, um Verbesserungen zu erreichen.



Mehr Infos:
www.suedwind-institut.de/changeyourshoes
sauberekleidung.de/index.php/kampagne-a-themen/change-your-shoes